Die Antidepressiva fangen an, langsam zu wirken. Sie helfen mein unruhiges Gemüt zu besänftigen, es fällt mir aber immer noch schwer, meinen Tag zu bestreiten.
Neuerdings kann ich nicht zu einem Supermarkt gehen. Das grelle Licht und die Überflutung von Menschen, Produkten, Lärm bringen mich rasend schnell in Panikzustände. Oh mein Gott, was ist bloß los mit mir? Ich falle zurück in Verzweiflung.
Es dauert ein paar Tage und doch versuche ich es immer wieder erneut, um nicht noch mehr Dinge zu verlieren, die ich alleine bewältigen muss. Ich lese auch überall, dass man sich seinen Ängsten stellen soll. Auch der Angst vor der Angst. Paaaah! Wie abstrus und verwirrend das alles für mich ist. Ich gehe es ruhig an.
Ich suche mir sofort einen Punkt, den ich fixiere und schleiche so durch die Supermarktgänge. Mal mit Sicht auf den kompletten Raum, mal von Regal zu Regal, zu Personen oder ich konzentriere mich nur auf die rechte oder linke Aktivitäten, die so um mich herum passieren. Boah sind die Lichter hell, ist mir noch nie so aufgefallen. Auch nicht, das der Boden schwimmen kann und ich mich fühle wie ein Wackelpudding auf zwei Stelzen. Ganz scheußliches Gefühl.
Mir fehlt das Autofahren unheimlich. Meine Freunde müssen mich jetzt immer bei meinen Eltern abholen. Das nervt mich für Sie ich mich nervt es, es schränkt mich ein. Mein Wesen schrumpft.
Alles, was mich ausmacht, scheint sich aufzulösen. Ich habe das Gefühl, eine innerliche Behinderung zu erleiden, die ich nicht mehr loswerde. Nichts mehr alleine zu schaffen. Das nervt mich ungemein.
Ich kann gar nicht oft genug sagen wie mich das nervt. Meine Freunde können es wahrscheinlich gar nicht mehr hören, wie oft ich sage, dass mich das nervt. Was für ein Scheißdreck!
An einem Sonntag ist es dann soweit. Mein Herz pocht wie verrückt und ich weiß nicht, wie weit ich komme, ob ich unterwegs anhalten muss, zusammenklappe, eine Attacke bekomme, aber ich will wieder fahren und ich werde wieder fahren und ich bin gefahren. Mir ging der Arsch auf Grundeis, dass kann ich sagen.
Wie bei der Fahrprüfung und danach, wenn man das erste Mal ohne Begleitung Auto fährt. Ich merke wie mein Herz während der Fahrt durch die Tabletten besänftigt wird. Es steigt eine kleine Aufregung im Körper hoch, das Herz pocht schneller und so etwa in der Mitte fährt das Ganze wieder runter und man erlebt ein wohltuendes Gefühl. Crazy...
Ich dachte nicht, dass man das so im Körper wahrnehmen kann. Das passiert öfter bei den weiteren Fahrten. Wenig später gesellen sich Tinnitus Geräusche zu meinem Herzrasen, meiner Schlafstörungen und zu meiner Augenempfindlichkeit dazu. Den lieben langen Tag vernehme ich ein leichtes Rauschen. Mit den Alltagsgeräuschen wird es zwar übertönt, doch in ruhigen Momenten beeinträchtigt es mich doch sehr.
In meinen Fachzeitschriften, lese ich zum Thema interessante Passagen. Normalerweise sind die Geräusche immer da, nur kann das Gehirn das überschallen oder vermindern, so das wir es nicht wahrnehmen. Mein Gehirn kann das halt eben nicht mehr. Ein Spezialist in Hannover, hat und hilft Patienten mit Tinnitus durch chiropraktische Maßnahmen an den Nackennerven, diese zu vermindern. Ich denke daran, einen Termin bei meinem Chiropraktiker zu machen und ihm das zu präsentieren.
Vielleicht hat er schon davon gehört. Zudem hörte ich von einem Freund, dass sein Allergologe mit Akkupunktur vieles bei ihm erreicht hat. Beim Nachforschen auf dessen Homepage lese ich auch, dass er das bei anderen Stressfaktoren anwendet.
Ich mache einen Termin und habe ein Gespräch und er sagt mir, ich sei schon auf gutem Wege zur Besserung und das die Akkupunktur leider nicht die Depressionen behandelt dennoch könne er mir bei den Ohrgeräusche helfen. Ich bin etwas hin und hergerissen und beschließe mich doch erst einmal das bei meinem Chiropraktiker zu versuchen.
In der Zwischenzeit bin ich doch wieder am abrutschen und denke sogar mich in unserem Zentralinstitut für Psychische Erkrankungen einzuweisen weil ich so verzweifelt bin, dass das der einzige Weg ist, damit mir geholfen wird. Ich beschließe diesen Schritt und gehe mit meiner Mutter gemeinsam dort hin. Der Ort erschreckt mich, und holt mich auf den Boden zurück.
Ich versuche es lieber mit einem Psychiater oder Therapeuten. Natürlich gerate ich in die Sommerferienzeit und muss mich durch die kurzen, wenigen Telefonsprechzeiten durchtelefonieren. Ich habe kurze, hilfreiche Gespräche am Telefon bei einem bin ich auf der Wartelist, doch sind die Wartezeiten leider bis zu 3 Monaten oder bis ins nächste Jahr hinaus. Was soll ich bloß tun? Schaff ich das alleine?
Viele Gespräche mit Stephan besänftigen mich. Ich erhalte einen Termin bei einer psychiatrischen Praxis in 1 ½ Monaten. Ein leichter Trost. Eine kleine Hürde, die ich bewältigen kann. Eine Aussicht, die mir Hoffnung schenkt. Ich suche dennoch weiter und bekomme recht schnell ein Erstgespräch bei einem Verhaltenstherapeuten.
Schon am Telefon strahlt er Verständnis und Sanftheit aus. Stephan hat mir auch zu der Kombination von Medikamenten und Therapie geraten, somit benötige ich eigentlich auch keinen Psychiater, weil er meine ärztliche Kontrolle übernimmt.
Ich hatte bisher vier Vorgespräche mit meinem Therapeuten und da wir uns beide einig sind, dass das gut funktionieren kann, beantragen wir gerade die Therapie bei der Krankenkasse.
Schon die ersten Gespräche haben mir teilweise die Ängste, verrückt zu werden und vollkommen durchzudrehen, genommen. Er zeigt mir auf, dass die Ursache wahrscheinlich aus mehreren Bestandteilen besteht und dass es Das jetzt zu ergründen gilt.
Er konfrontiert mich mit seinen Profilerstellungs- und Überblicksfragen mit verdrängten Dingen in meinem bisherigen Leben, die mich in der Zeit bis zur nächsten Sitzung stetig zum Nachdenken über mich selbst und meinem Leben bringen.
In den 50 Minuten der Sitzung, kann ich gar nicht alles Gesagte so schnell verarbeiten und realisieren. Jedenfalls ist von der ersten Minute an gleich ein Vertrauensverhältnis zwischen uns beiden geschaffen, die es mir ungemein erleichtert, offen zu sprechen, obwohl mein Therapeut fremd ist.
Doch konnte ich wirklich bis zu dem Zeitpunkt, auch wenn ich offen zu anderen bin, eingeschlossen meiner Familie und Freunden, das erste Mal über Dinge sprechen, die mich belasten und anscheinend unbewusst schon Jahre in mir schlummern und herauswollen.
Ich gehe mittlerweile wieder zur Arbeit und kann auch alleine im Büro sein ohne panisch auf dem Schreibtischstuhl zu sitzen. Ich gehe es langsam an und gehe, wenn ich merke, mir wird etwas zu viel.
Einen vollen Achtstundentag kann ich noch nicht bestreiten, dafür schaltet mein Kopf zu früh ab, doch ich wieder einen Schritt nach vorne gemacht und ein kleines Ziel erreicht. Ich setze mir jeden Tag kleine Ziele und wenn es Ziele sind, die ich bis zur nächsten Therapiestunde erreicht haben möchte.
Ich spüre, dass mich mein Kopf und mein Verstand nicht ganz verlassen haben. Ich dachte bisher, mich immer selbst reflektieren und therapieren zu können, doch das ist jetzt eine ganz andere Erfahrung.
Ich kann die Kontrolle abgeben und einfach alles rauslassen. Es tut einfach gut, nur zu erzählen. Ohne Wertung oder Gegenwirkung. Mein Therapeut steht nicht über mir, sondern sitzt mit mir in Augenhöhe in unserem Gespräch. Vor diesem Ausgeliefertsein, hatte ich am meisten Angst.
Mit Medikamenten ruhig gestellt zu werden und nur noch ein passives Individuum zu sein, das nicht mehr Heer über seine sieben Sinne ist.
Sie wollen wissen, warum dieses Buch den Titel »Gundel und ihre kleinen Geschwister trägt?« Ganz einfach! Ich beschloss meiner Attacke einen Namen zu geben, damit die Attacke nicht etwas Unbekanntes in meinem Körper bleibt, sondern etwas Greifbares, mit dem ich lernte umzugehen. Dass ich etwas zum ansprechen habe wenn mich mal wieder dieses Angstgefühl überkommt. Gundel ist meine unheilbringende Nemesis. Ich hab zwar keine Mumu aber dafür habe ich eine Muse und eine Nemesis. Nicht das Schlechtestes definitiv.
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